Auch Steine, Gläser und Stühle haben Gefühle

2016 habe ich sogenennten toten Dingen Leben eingehaucht. Als Rahmen habe ich das fiktive Restaurant Zollhaus erfunden. 

Januartraum ​von Ben Nordlanderer

Bleiern liegt die Nacht in der morgendlichen Gaststätte. Ruhe herrscht an den Tischen, aufgestuhlte Stühle dösen erschöpft vor sich hin. Manch einer hatte in dieser Nacht eine lebhafte Last zu tragen, andere träumen von den jungen Damen, die auf ihnen gesessen haben. Auf Tisch Nummer eins atmen die Sitzgelegenheiten besonders tief ein und aus. Am Stammtisch hatte die Herrenrunde ziemliche Blähungen, und es sind nicht die lauten Winde, die sie fürchteten. Die stillen, warmen sind die echten Herausforderungen eines Stuhles, der, komme was wolle, standhaft bleiben muss.

Von den sechs Stühlen ist der, auf dem der Sohn des Hopfenbauern sass, etwas aus den Fugen geraten. Bis spät nach Mitternacht hatte er, der Stuhl, den 150 Kilo-Junggesellen tragen müssen. Immer wieder wurde seine linke Seite über alle Gebühr belastet, wenn der Rabauke, seine rechte Backe zum Entlüften anhob. Geächzt hatte er aber, als kurz vor eins der dicke Sohnemann seinem Nachbarn gezielt und kraftvoll ans Schienbein getreten hatte. Auf Stuhl Max sass ein Neuer, der noch nicht verstand, dass die junge Wirtetochter dem Hopfen-Söhnlein gehört. Wenn die beiden Menschen wüssten, was er weiss; oh wie jubelt seine boshafte Stuhlseite nun zum Ausgleich!

Durch einen Spalt des leicht geöffneten Fensters rauscht die Aare leicht in diesem kalten, schwarzen Januarmorgen vorbei. Hätten die Stühle nicht nur Seelen, sondern auch Augen, sie könnten den hungrigen Fuchs sehen, der vorsichtig um die alten, blattlosen Kastanien herumschleicht.

Unser angeschlagener Stuhl hat sich unterdessen etwas beruhigt und träumt von der Zeit, als er noch ein grossgewachsener, starker Baum war. Im Sommer hatten es sich Liebespaare in seinem Schatten gemütlich gemacht. Bei Gewitter duckten sich die Vögel ganz still auf seinen Ästen. In seiner Höhle, im kalten Winter, schmiegte sich das Eichhörnchen ganz fest an sein Holz.

Heute steht der mächtige Baum in Stuhlform hier in der Gaststätte, so manchen Arsch musste er schon ertragen. Einige davon hat er noch als kleine Angsthasen kennen gelernt. Nicht dass sie jetzt mutiger wären, nein, sie sind nur lauter und respektloser geworden.

Peters Socken von Ben Nordlanderer

Still ist es, dunkel ist es und alles ist so wohlig warm, gewürzt mit vertrauten Gerüchen. Im Korb, Abteilung Socken 60°C dunkelgemischt, liegen sie, die Füsslinge, paarweise kreuz und quer übereinander. Sie träumen und können es nicht erwarten, bis sie wieder zum Trommelritt antreten können. Für die Wäsche im allgemeinen, ist das Waschen wie für uns Achterbahn fahren, sie lieben es.

Aber für Socken im speziellen gibt es noch zusätzlich einen Wettbewerb. Jedes Paar versucht, sich zu trennen und so lange wie möglich für die Menschen unauffindbar zu bleiben. Marino und Giuseppe, ein Paar in Venedig gekauft, schafften es, ganze zehn Monate getrennt zu sein. Dabei wechselten sie sich alle drei Wochen ab.

Schritte, heute nicht so selbstsicher, eher fahrig, unsicher und immer um Gleichgewicht bemüht, nähern sich dem Wäschekorb. Die Klappe öffnet sich. Länger als die anderen, nass und mit Lehm verklebt, fallen sie hinunter, eine davon genau auf Mario. „Eje Mann, was du fallen auf miche und du dann noch so nasse und stinkiges sein?“ Die feine, vornehme Seidensocke mit Rekordhalter-Stolz ist entsetzt. „Manne, was ise mit dir gemacht?“ Mario plustert sich künstlich auf. „Du stinke, nach Hunde-Ah-Ah und biste nass wie Aqua, eh!“ „Sei du froh, musst du nicht an die Fassnacht, und ich meine bewusst Fass, so wie Peter und seine Kumpels gesoffen haben.“ Robert, der weiss-rot gestreifte Clown-Strumpf ist ziemlich sauer über den Verlauf der Party.

Nach kurzer Stille meldet sich Giuseppe zu Wort. „Was ist Fasnacht, Robert?“ Verwundert schielt Robert zu dem Seidenpaar. „Sagt bloss, ihr kennt die Fasnacht nicht, auch Fasching oder Karneval genannt?“ „Oh Karnevale, oh Venezia, wie vermisse ich dich.“ Sogleich beginnen die beiden Italiener in ihrer Sprache über ihre alte Heimat zu reden, erregt, mit viel Heimweh.

„Sagt mal, ihr beiden Clowns!“, hört man Edi, die dunkelgrüne, aus Elviras Händen liebevoll gestrickte Socke sagen, „dann muss man gleich so tun, als gäbe es keine Schuhe?“

„Naja, am Schluss“, meinte Peter, „wenn es so frühlingshaft ist, muss man doch ohne Schuhe gehen. Was können wir dafür, dass Peter so sturzbetrunken war, wir waren nur die Strümpfe an seinen Füssen.“

Allgemeines bedauerndes Murmeln breitet sich im Wäschekorb aus. Verstehe einer mal die Menschen.

Gabi G. von Ben Nordlanderer

Sie tanzen und fliegen durch den frühlingshaften Tag. Die jungen, wilden Lichtstrahlen, die den kommenden Sommer schon mal etwas ankitzeln. Sie necken Pflanzen, Tiere, Menschen und alles und jeden, den sie auf ihrem Weg antreffen.

Heute Abend geschlossene Gesellschaft. So ist es in weisser Kreide auf die schwarze Schiefertafel geschrieben. Diese steht für jeden sichtbar neben dem Eingang zum Restaurant Zollhaus. Fliegt man als Lichtstrahl in den Schankraum, so fällt auf, dass nur drei Gäste anwesend sind, die sich gedämpft unterhalten.

Die Geräusche aus der Küche verkünden geschäftige Betriebsamkeit, Vater und Tochter sind ein eingespieltes Team. Langweilig, mit ihnen kann man keinen Schabernack treiben. Wenden wir uns der Tür mit der Aufschrift Bankett-Saal zu und treten ein.

Die Luft hier drinnen fühlt sich leicht wolkig an. Temperamentvolle Swing-Musik wird von einem Band abgespielt, erfüllt den Saal zusätzlich mit einer fröhlichen Dynamik. Warmes, vom Glück beseeltes Licht dringt durch die geöffneten Fenster in den Raum. Der März bringt die Vorfreude auf den Frühling in jede Ecke, an jeden Tisch in diesem Saal.? Dieser vibriert vor Spannung. Die Tische sind zu einem "U" zusammengestellt. Weisse, gestärkte Tischdecken bedecken sie. Der Kellner und die Chefin sind professionell und gespannt an der Arbeit. Heiterkeit und Vorfreude begleiten sie. Sie verschmelzen mit dem Raum, der Stimmung und allem drum herum zu einer Einheit.

Die Gruppe kleiner, frecher Lichtstrahlen entdeckt den speziellen Besteckschrank. Die alte Holzkommode schliesst schon seit über hundert Jahren nicht mehr spaltfrei. Diese Spalte juckt die Gruppe hipper Lichtstrahlen und sie dringen ein.

Dort liegt sie, Gabi G. und ihre Schwestern. Die Lichtstrahlen streichen sanft über den dunkelblauen Samt. Jede der Silbernen Damen hat ihre eigene mit Samt ausgeschlagenen Kuhle.

"Schaut mal Freunde, dort liegt Gabi G. die Dame mit Stiel. Hallo Gabi, schöne Frau, wie geht es dir?" Sie schmeicheln, säuseln, schäkern mit Gabi und ihren Schwestern um die Wette. Später warten die Silbergabeln glücklich auf ihren Einsatz in ein paar Stunden.

Fettgeflüster Teil 1    -    Begegnung von Ben Nordlanderer

Dunkel ist es, langweilig ist es, und die Luft hier drinnen mit einem Mischmasch an Gerüchen macht es auch nicht besser. Verstärkt wird das Unbehagen aller noch durch die permanente Feuchte, die nie aus diesem Raum vollständig verschwinden wird. Das sind die Gefühle der Teller, Tassen und Gläser hier drinnen. Sie wissen, bald werden sie in neuem Glanz erstrahlen. Der Preis aber ist Hitze und ätzendes Wasser, eine Tortur, die sie nicht mögen.

Auch die Essensreste und andere Rückstände, die enttäuscht auf ihr verpasstes Glück, das Nicht-Erreichen ihrer erhofften, beziehungsweise versprochenen Bestimmung nun auf das nächste Ereignis warten, kleben hier. Ungewissheit und Hoffnungslosigkeit plagt all die organischen Stoffe, die kurz am Glück schnuppern durften, um danach nur noch abserviert zu werden. So macht sich hier drinnen eine gewisse Trostlosigkeit breit, die in jede Ecke und Spalte kriecht.

Steigen wir nun auf die obere Lagerebene. Schwenken wir etwas in die Richtung nach hinten rechts. Dort steht ein feingeschliffenes Champagnerglas neben einem  grossen, massigen Bierhumpen. Links vom Griff zieren fettig, weisse, mit leichtem Braunstich versehene Lippenabdrücke den oberen Rand. Beim Champagnerglas sind es zarte, leuchtend roten Lippen, die den Rand zieren. Konzentrieren wir uns mal auf die beiden und warten ab, was geschieht.

Dunkle Stille hüllt sie ein. Beide sind grundverschieden. Sie zart, vornehm von leichter, süsslicher Pracht. Schön anzusehen. Er, der ganze Kerl. Bodenständig und durch nichts aus dem Konzept zu bringen. So warten beide hier auf das, was kommen wird.

„Du bist schön anzusehen, was bist du denn?“ Diese schüchterne Frage kommt von der weissen, mit einem Braunstich versehenen Fettrandlippe auf dem Humpen. Eine Sympathiewelle ergiesst sich über den leuchtroten Lippenstift.

Fettgeflüster Teil 2    -    Kontakt von Ben Nordlanderer

In der dunklen Trostlosigkeit ergiesst sich eine Sympathiewelle über den leuchtroten Lippenstift auf dem Champagnerglas. In dieser übelriechenden, feuchten Dunkelheit wirkt dies auf den Lippenstift wie ein durch Kerzenschimmer erstrahlter Rosenstrauss. Trockene Wärme breitet sich auf dem Champagnerglas aus.

Diesmal gilt die positive Gefühlswelle ganz ihr persönlich. Der leuchtend rote Lippenstift wird sogar noch etwas roter vor Verlegenheit. Sie nimmt den neben ihr stehenden Bierhumpen wahr, auf dem diese weissbraunen Fettlippen kleben.

Ein dickes, grobschlächtiges Glas, gezeichnet vom vielen Anstossen mit anderen Gläsern. Auf ihm diese Fettlippen in ihrer Grundbeschaffenheit milchig weiss, von kräftigen Röststoffen gefärbte, hellbraune Note. Diese trägt ein Geruchsgebilde von dominantem Thymian und frischem Rosmarin auf sich. Unterstrichen wird das ganze von einer süsslichen, feinen, eher diskreten Zwiebelnote und ein paar Salbeiblättern. Ihr ist dieser Lippenabdruck auf Anhieb sympathisch.

In dieser von Harmonie und Liebe geprägten Atmosphäre dringt von unten das Gezänke von Käseresten laut und störend herauf.

„Was willst du, bleib mir weg mit deinen Bergen. Ich bin ein echter Parmigiano und mich haben Menschen erst angefasst, nachdem ich in kleine Stücke geschnitten und abgepackt in ein Kühlregal gestellt wurde.“ Etwas erschrocken schielen die Bündner Käsekrümel auf die fremden Käsesplitter. Er wollte doch nur wissen, ob er auch in einem Bett aus frischen Berggräsern hat liegen dürfen. Oh, wie dieser Bündner diesen sonnigen Geruch vermisst. Hier auf dem kalten Metall am Boden ist es überhaupt nicht schön. Das schwarze Loch dort vorne macht ihm zudem Angst.

Von alledem kriegen unsere beiden Turteltäubchen nichts mit. „Du riechst so vielschichtig, richtig aufregend“, flüstert die rote Lippe zum Humpen hinüber und schickt ihm eine Welle von Gefühlen so, dass unsere Haxenreste fast zu schmelzen beginnen.

Gemeinsam träumen sie, wie es wäre, wenn sie verschmelzen könnten. Wie das wäre, wenn sich die leuchtenden Farben mit dem wunderbaren Aroma vermischen würden...

 

Fettgeflüster Teil 3    -    Vereinigung von Ben Nordlanderer

Der fettige Haxenabdruck auf dem Bierhumpen und die zarten, roten Sektglaslippen kommunizieren, wie es nur echt Verliebte können. Ihre Botschaften, ihre Worte, da können die Menschen noch viel lernen, erreichen eine Tiefe, dafür gibt es in unserer Sprache keine Worte. Es ist ein wahres Wunder an Farben, ein Feuerwerk der Bilder und ..., wer dies wahrnimmt, läuft Gefahr, selber zu schmelzen, es macht einen sprachlos glücklich.

Schritte, schnell, energisch, zu allem entschlossen nähern sich der Spülmaschine. Licht blendet und ein Rütteln geht durch die obere Ebene. Ein Neuer wird dazu gestellt. Das Beben wiederholt sich, und mit einem lauten Klacken wird es dunkel.

In der Zwischenzeit streiten sich die Parmesankrümel mit den Resten eines Galakäses, wer denn hier der Edlere ist.  Fragmente eines Parmigiano Reggiano stravecchio, die in der Nähe liegen, hüllen sich in betroffenes Schweigen. Er weiss wie sich unser Bündner Bergkäse fühlt, kennt er doch die vielen liebevollen und sachkundigen Menschenhände, die einem zur vollen Reife verhelfen. Es war eine schöne Zeit. Auch er nimmt das bedrohliche schwarze Loch wahr, es ängstigt ihn.

Durch die beiden Erschütterungen sind der Bierhumpen und das Sektglas zusammen gestossen. Die roten Abdrücke kleben am weissen Haxenfett. Eine Explosion des Glückes findet statt. Die unterschiedlichsten Moleküle wandern hin und her. Sie verschmelzen, vermischen sich neu. Es entsteht ein rosa Kind in zarter Farbe und lieblich süssen Röstaromen, umhüllt von Kräutern und Gewürzen.

In diesem Sturm des Glückes wird es immer heisser. Dampf schiesst kraftvoll aus dem Nichts von der Höhe herab. Teller, Gläser und Besteck jubeln und frohlocken. Die organischen Stoffe sind vom plötzlichen Wandel überrumpelt. Eine Lauge überzieht alles in dieser Spülmaschine. Unsere beiden Lippenabdrücke nehmen das seifige Brennen erst spät wahr. Sie fühlen sich losgelöst, leicht und glücklich. Sie geraten in einen Strudel, ein Kreisen und Stürzen, sie lösen sich, sie verändern und verwässern sich und sind ...

Der Bierhumpen und das Sektglas glänzen in neuer Frische neben einander. Beide sind vom Vergangenen noch erhitzt und fragen sich, welches neue Abenteuer ihnen bald begegnen wird.

Ich reise um die Welt von Ben Nordlanderer

Da treibt man einfach so auf der Meeroberfläche. Ein schöner, wolkenloser Tag. Die obligate Brise weht heute von West, Nordwest und niemand hat mich auf dieses Abenteuer vorbereitet.

Es war so: Ich trieb völlig losgelöst auf der Meeresoberfläche. Zuvor war ich in der kühlen, dunklen Tiefe. Was mich zur Helligkeit und Wärme hochgetrieben hat, weiss ich nicht, aber alle meine Freunde machen es auch so, also liess ich mich halt auch hochsteigen.

Auf einmal setzte ein Sog ein. Es wurde warm und wärmer. Ich fühlte mich leicht, und ich sah auf einmal die Wellen. Dann wurden die Wellen immer kleiner und ich stieg höher. Hab ich gestaunt, es gibt ja noch etwas anderes als Wasser und alles ist rund.

Mit vielen Kameraden trieb ich über Ländereien. Als es kälter wurde, sind wir wieder auf die Erde zurück gefallen. Süsslich herb schmeckte es auf den Pflanzen. Danach fiel ich auf den Boden und konnte dort versickern.

Schon wieder lerne ich neue Kollegen kennen. In einem Strom schiessen wir durch Rohre und Leitungen. Wie es wieder hell wird, falle ich in einen Plastikbehälter.

Es wurde wieder dunkel und dann saumässig kalt. Ich, Tobi der Wassertropfen, verliere meine Geschmeidigkeit und werde immer härter. So steif habe ich mich noch nie gefühlt.

Als es wieder hell wird, flutsche ich aus dem Plastikbehälter in ein buntes Getränk. Schon wieder treibe ich in einem Meer. Diesmal ist es furchtbar süss, ehrlich, das salzige hat mir besser gefallen. Hoffentlich kommt bald wieder der Sog, mir ist es in diesem Restaurant, das sich Zollhaus nennt, nicht so wohl. Wer weiss, wohin die Reise noch geht.

Jetzt treibe ich hier in diesem bunten Meer, und ich hofffe,  du hattest etwas Einblick in mein letztes Abenteuer. Eine Bitte hab ich noch, warte mit trinken bis ich aufgestiegen bin, ich möchte wieder fliegen.

 

Lausiges Lauseleben von Ben Nordlanderer

Ab in die Suppe Huhn, so endet ein Lied über ein glückliches Huhn. Zu einer Suppe gehört aber noch mehr. Ab und an kommt noch das Eine oder Andere unverhofft dazu.

Mitte September, einer von den Tagen, an denen man bereits das Nahen des Winters spürt. Der ganze Sommer war kühl, feucht, unfreundlich. Und doch stehen viele Früchte des Herbstes in voller Reife zur Auswahl. Es überrascht also nicht, dass die Speisekarte im Restaurant Zollhaus schon stark herbstlich ist.

In der Küche blubbert  ganz sanft eine leichte Hühnersuppe, welche, mit eigener Bouillon angesetzt, mit frischem Gartengemüse versehen einköchelt. Ich habe wohl vergessen zu erwähnen, das Restaurant Zollhaus in Richterswil a. d. Aare ist für Suppen- und Eintopffreunde der Geheimtipp. Genau diese Suppe wird heute Abend noch jemandem zum Verhängnis werden. Lassen wir das aber.

Huhnobert 28 ist der 28-zigste von 154 Geschwistern oder so, aus dem Gelege Huhnartes 32. Huhnartes hatte in aller letzter Minute noch einen neuen Wirt für ihr Gelege gefunden. So ist Hunobert 28 jetzt noch etwas zittrig und feucht. Das erste, das die kleine Kopflaus Huhnobert 28 - nennen wir ihn Huhno – wahrnahm, ist das schwarze, drahtige Haar, mit dem er verbunden war.

Huhno ist wie sein Vater. In dieser feuchten, dunklen Umgebung ist sein Abenteurer-Gen gleich geweckt. Aufmerksam bewegt er sich über den warmen, weichen Untergrund. Geschickt weicht er dabei der einen und anderen Pore aus, aus der ein fettiger, salziger Tropfen steigt. Sein Instinkt zwingt ihn zur Nahrungssuche und bald schon ist er fündig.

Die nächste Zeit ist sein Ziel nur essen und ruhen. Auf seinen Streifzügen trifft er immer wieder auf den einen oder anderen Bruder bzw. die eine oder andere Schwester. Doch immer öfter trifft er auch auf Artgenossen aus einem anderen Gelege.

So ist es auch nicht weiter verwunderlich, das sich eines Tages neben seinem Selbsterhaltungstrieb auch sein Fortpflanzungstrieb bemerkbar macht. Genau in diesem Moment kreuzt ein Weibchen aus einem fremden Gelege seinen Weg. Uhhh, was für eine Grazie sie doch ist. Diese kräftigen Sprungbeine, diese helle, fast weisse Haut und dieses leuchtende Hinterteil.

Verführerisch wackelt sie ein bisschen, lässt ihn näher kommen und schickt ihm eine verheissungsvolle Botschaft. All seine Sinne stellen sich auf Erbgut-weiter-geben ein. Neckisch springt sie in die Höhe, darauf entschwindet sie seinem Blick.

Huhno nicht faul, der Tiger ist in ihm erwacht, schwingt sich auf eines der höchsten Haar in seiner Nähe. Er muss sie wieder finden. Ja, dort ist sie. Huhnos Puls rast. Was ist das? Huhno fühlt sich schwerelos, er treibt weg von den Haaren, sieht seine Süsse immer kleiner werden. Huhno versteht sein Dasein nicht mehr.

Entsetzt klammert er sich an das schwarze, drahtige Haar und fühlt, wie es nach der Kühle wieder langsam wärmer wird. Feuchte wärme steigt auf, Huhno landet in einem heissen See. Dieser ist salziger als der Menschenschweiss, viel heisser und brennender. Verzweifelt krallt sich Huhno an das Haar, versucht auf die Oberseite zu kommen, aber jedesmal dreht es sich wieder, so dass er wieder in die schmerzenden, beissenden Hitze eintaucht.

Huhno kämpft tapfer, krabbelt und klettert. Seine Schmerzen sind unerträglich. Dann auf einmal ist alles ganz leicht, er fühlt nichts mehr.

Der Fremde in der Lade von Ben Nordlanderer

Montag ist Ruhetag, so dösen sie alle in und an ihren vorgesehenen Plätzen und Schubladen vor sich hin. Selbst in der Chaoskiste, in der die Exoten ihren mehr oder weniger angestammten Platz haben, wurde der Dornröschenschlaf der Bewohner schon lange nicht mehr unterbrochen.

Nun fragt ihr euch, was hat eine Chaoskiste in einer professionellen Küche zu suchen. Wieso wird sie von allen die Chaoskiste genannt, wenn sie doch eine Schublade und keine Kiste ist. In der Chaoskiste ruhen die Geräte, die einmal im Jahr gebraucht werden. Da liegt das Maroni-Messer neben einem Samiklaus-Ausstecher. Eine Osterhasen-Gussform träumt neben einem Weihnachtsengel, oder einTrüffelhobel duftet noch immer dezent vor sich hin.

Jetzt wird diese monatelange, heilige Ruhe jäh unterbrochen. Die Schublade wird heftig aufgerissen. Gleissendes Licht dringt bis in die hinterste Ecke, reingeflogen kommt ein ziemlich grosses, schweres Metallteil.

Auf das erste Erdbeben folgt sogleich das zweite. Genau so hektisch wird die Lade wieder geschlossen. Dass jetzt niemand mehr vor sich her träumt, liegt wohl auf der Hand.

Nachdem sich der Schock etwas gelegt hat, vernimmt man vom Neuen ein leichtes Räuspern:

„Sorry my friends, ist gekommen; wie sagt man auf Deutsch?“ nachdenkliche Stille. „Ach ja, der Gesundheitsinspektor. Das ist wie bei uns in England, ich habe da auch nichts in der Küche eines Pubs zu suchen.“

„Was ist ein Pub und warum riechst du so komisch?“ diese schüchterne Frage kam von der Osterhasen-Gussform.

„Oh well, du kennst nicht einen Pub, ist es so?“ Erstaunt blitzt der Engländer in die Runde. „Nun, ich bin ein Rollgabelschlüssel und ich arbeitete bis vor kurzer Time ich noch an einem old, red 72th Triumph, ein wenig verklemmt ist das Verdeckt. So ist es.“ Verständnislose Stille umhüllt den Engländer. „Darum rieche ich ein wenig nach Motorenöl.“ Noch verständnisloser und stiller wird die Stille. „Ok, bei uns in Loch Moor up Side ist ein Pub der Ort, in dem sich Männer treffen um mindestens 2 Pint Ale zu trinken. Der Eine oder Andere isst auch mal ein Kleines etwas. Well, habt ihr mich verstanden?“

 „Ah, er spricht von einem Restaurant wie das Unsere“, vernimmt man vom Trüffelhobel. „Und was trinken die Damen der Gesellschaft denn so bei euch?“ Will der Hobel noch wissen.

„Gott gütiger, diese Unsitte hat sich erst, seit die Amerikaner in grosser Zahl bei uns waren, eingeschlichen.“ Unser Rollgabelschlüssel ist etwas entrüstet. „God bless besinnt sich das englische Volk wieder auf den Rückschritt.“ Nun wird unser Engländer etwas konservativ. „God shave the – ups. Gemeinsam mit den ‘Ewig Gestrigen‘ aus anderen Ländern werden wir wieder die guten alten Werte einführen.“ Nun glänzt der Kerl in voller Pracht. „Die Gier nach Macht und Geld wird dann wieder einigen Wenigen vorbehalten sein. Dafür werden diese wieder Verantwortung für ihr Tun und Lassen übernehmen und richtig führen. Zum Dank wird das Volk wie früher wieder vereint Hurra rufen, klatschen, spalierstehen und Fähnchen schwenken. Good old Time!“

Betretenes Schweigen liegt neu in der Schublade.